Globales Lernen im 21. Jahrhundert

Ein Raum für neue Akteure

Lucia Muriel. Foto: Lichtbilder Langhorst
Lucia Muriel ist Geschäftsführerin und Fachpromotorin bei moveGLOBAL e. V., Verband migrantischdiasporischer Organisationen in der Einen Welt; Mitglied des Kuratoriums von Engagement Global; Vorsitzende MEPa e. V..
Foto: Lichtbilder Langhorst

Migration prägt schon heute unsere gesamte Gesellschaft durchdringend und die entwicklungspolitische Bildungsarbeit wird gut daran tun, dies jetzt stärker als bisher als fachliche Herausforderung anzunehmen. Wertschätzung von Diversität muss zu einer fachlichen Selbstverständlichkeit werden.

Können wir migrantisches Engagement durch Globales Lernen tatsächlich inspirieren und mobilisieren? Sind wir schon da, wo wir sein wollen – oder können wir nicht viel mehr Engagement und Begeisterung für diesen Bereich mobilisieren? Unmittelbar daran knüpft sich die viel relevantere Frage: Wie sieht es aktuell mit den Teilhabe-Chancen von eingewanderten Menschen aus? Migration prägt schon heute unsere gesamte Gesellschaft durchdringend und die entwicklungspolitische Bildungsarbeit wird gut daran tun, dies jetzt als fachliche Herausforderung anzunehmen.

Der migrantische Beitrag zur Diversifizierung globaler Lernprozesse

Globales Lernen kann im besten Fall darauf vorbereiten, die Gesellschaft gemeinsam zu gestalten. In den letzten Jahren wird immer wieder angemerkt, dass die tatsächlich erreichten Zielgruppen nicht die gewünschte Vielfalt widerspiegeln. Migrantinnen und Migranten erschließen aktiv neue Zielgruppen, nämlich genau die, die bisher kaum oder nur peripher erreicht wurden: die Diaspora, die verschiedenen communities und hierin die verschiedenen Generationen und verschiedenen sozialen und kulturellen Herkünfte. So können nicht nur die Herkunftsländer zum Inhalt werden, sondern vielmehr die Erfahrungen mit der Migration, mit den Bewältigungsstrategien von Fremdheit, Ausgrenzung, struktureller Chancenungleichheit. Die Teilnehmenden können aber auch ihre eigenen integrativen Anstrengungen, erlebte Solidarität, Berührung mit neuen Werten und die Entwicklung zivilgesellschaftlichen Engagements bezeugen. Damit eröffnen sich Räume für jene, die bisher in ihrem enormen Wirkungs- und Aktionspotenzial schmerzlich unterschätzt und als Akteure weitgehend ausgeblendet wurden: die Menschen mit einer Migrationsbiografie oder mit kulturellen Mehrfachidentitäten.

Was hemmt, was fördert Engagement?

Die Vielfalt sowohl der Teilnehmenden als auch der Akteure Globalen Lernens wird zunehmen. Wenn wir aus der Monokulturalität herauskommen wollen, muss sich das Konzept des Globalen Lernens auf diese Vielfalt einrichten. Bei der Thematisierung globaler Zusammenhänge müssen die Perspektiven von Menschen aus dem Globalen Süden einbezogen und bestehende Vorurteile kritisch reflektiert werden. Unterschiede zwischen den „Kulturen“ werden meist als Probleme definiert – nicht als Bereicherung und Grundlage gesellschaftlichen Wandels. Der Umgang mit Vielfalt als einer Maßnahme zur Demokratisierung, zur Öffnung und Emanzipation muss von vielen Akteuren des Globalen Lernen erst gelernt werden. Für einen produktiven Umgang mit Vielfalt müssen wir erprobte Akteure und Fachkräfte einbeziehen, aber genau diese werden bisher zu selten mit ihren Potenzialen wahrgenommen. Das Fehlen solcher strukturellen Entscheidungen in Richtung Öffnung und Emanzipation schafft Barrieren, die Engagement lahmlegen.

"Globales Lernen ist mehr als eine multiperspektivische Herangehensweise an internationale Themen, Konflikte oder Situationen. Darüber hinaus geht es darum, Herrschaftsverhältnisse und Interessenlagen sichtbar zu machen. Es geht darum, die kulturelle Vielfalt und Interessen globaler Benachteiligung aus ihrer Perspektive und mit gleicher Wertschätzung zu vermitteln. Das erfordert ein Überdenken und Loslassen eingeübter Denkmuster und Herrschaftsperspektiven."

Lawrence Oduro-Sarpong,
interkultureller Trainer und Diversity-Trainer, Mediator und Coach

Chancen eines emanzipierten und pluralistischen Ansatzes im Globalen Lernen

Will unsere Gesellschaft sich als eine pluralistische und inklusive Gesellschaft verstehen, dann wird klar, dass auch über die Mitgestaltung in den Strukturen des Globalen Lernens neu nachgedacht werden muss. Wir alle sollten nicht nur die bisher am Rande liegen gebliebenen Themen der Globalisierung aufnehmen, wie Flucht, globale Migrationen, Erhalt und Wiederherstellung des Friedens weltweit, sondern auch die historischen Wurzeln des Reichtum-Armut-Gefälles reflektieren, die, wie wir alle wissen, in der Geschichte des Kolonialismus zu finden sind. Dazu gehören in unmittelbar inhaltlicher Verwandtschaft die Themen Rassismus, Dominanzstrukturen gegenüber Eingewanderten und Geflüchteten, Entstehung und Bedeutung der Diaspora und eine intensive Auseinandersetzung mit Herrschaftsverhältnissen und den zugrunde liegenden Denkmustern. Wertschätzung von Diversität muss zu einer fachlichen Selbstverständlichkeit werden.

Wir müssen uns fragen: Öffnen wir allen den Zugang zur Mitwirkung, die möglicherweise auch verändernde, emanzipatorische und modernisierende Beiträge leisten können? Wie offen ist die etablierte entwicklungspolitische Landschaft für eine neue Architektur ihrer Strukturen, ihrer Netzwerke und Lenkungsinstrumente? Auf diese Fragen sollten wir gemeinsam Antworten finden. Und dass diese Fragen und Überlegungen heute Platz finden in der öffentlichen Debatte, ist ein großer, nicht zu unterschätzender Fortschritt dieser UN-Dekade.

 

Lucia Muriel